Aggregierte Gesamtplanung: Modell 1

Im einfachsten Fall wird eine Fabrik betrachtet, die einen ihr zugeordneten Einzugsbereich von "Kunden" zu versorgen hat. Kunden können Endabnehmer, aber auch Händler oder Regionallager sein. Die konkreten Standorte der Kunden werden nicht explizit modelliert. Ihre Modellierung wäre erforderlich, wenn man die Warenströme der Distribution mit in die Optimierung einbeziehen wollte. Man müßte dann evtl. auch noch Zentrallager modellieren. Das alles ist prinzipiell möglich, soll hier jedoch nicht geschehen, damit die Planungsmodelle nicht zu unübersichtlich werden. Die betrachtete Problemstellung endet daher mit der Einlagerung der Produkte im Endproduktlager der Fabrik.

Grundannahmen des Modells 1:

  • Eine Fabrik $s\,\in\,{S}=\{1\}$.
  • Mehrere (End-)Produktgruppen $k\in{K}_s$.
  • $T$ Perioden (Wochen, Monate, Quartale).
  • Produkt- und periodenspezifische Nachfragemengen.
  • Keine explizite Modellierung der Nachfrager.
  • Der Distributionsprozeß wird nicht abgebildet.
  • Zielfunktion: Lagerkosten, Überstundenkosten

Das Modell lautet:

$\mathrm{minimiere }Z = \displaystyle{ \sum_{s \in {S}} \sum_{k \in {K}_s} \sum_{t = 1}^T} { l_{sk} \cdot L_{skt}} + \displaystyle{\sum_{s \in {S}} \sum_{t = 1}^T } {u_{st} \cdot U_{st} } $

unter den Nebenbedingungen

$L_{sk,t - 1}+ X_{skt} - L_{skt} = d_{skt} \qquad s \in {S}; k\in {K}_s; t=1,2,...,T $

$\displaystyle{\sum_{k \in {K}_s}} b_{sk} \cdot X_{skt} \leq C_{st,\max } \qquad s \in {S}; t=1,2,...,T$

$\displaystyle{ \sum_{k \in {K}_s} } a_{sk} \cdot X_{skt} - U_{st} \leq N_{st,\max } \qquad s \in {S}; t=1,2,...,T $

$U_{st} \leq U_{st,\max } \qquad s \in {S}; t=1,2,...,T

$X_{skt}, L_{skt}, U_{st} \ge 0 \qquad s \in {S}; k\in {K}_s; t=1,2,...,T $

Symbole:

$a_{sk}$ Produktionskoeffizient für Produkttyp $k$ in Bezug auf die personelle Kapazität am Standort $s$
$b_{sk}$ Produktionskoeffizient für Produkttyp $k$ in Bezug auf die technische Kapazität am Standort $s$
$C_{st,\max}$ technische Kapazität in Periode $t$ am Standort $s$
$d_{skt}$ Nachfrage für Produkttyp $k$ in Periode $t$ am Standort $s$
$K_{s}$ Indexmenge der Produkte, die am Standort $s$ produziert werden
$s$ Index der Fabriken (in Modell nur eine Fabrik $s=1$)
${S}$ Indexmenge der Fabriken
$N_{st,\max}$ personelle Kapazität am Standort $s$ in Periode $t$
$U_{st,\max}$ maximale personelle Zusatzkapazität am Standort $s$ in Periode $t$
$u_{st}$ Kosten für eine Einheit zusätzlicher personeller Kapazität am Standort $s$
$L_{skt}$ Lagerbestand für Produkttyp $k$ am Standort $s$ am Ende von Periode $t$
$U{st}$ genutzte personelle Zusatzkapazität am Standort $s$ in Periode $t$
$X_{skt}$ Produktionsmenge von Produkttyp $k$ am Standort $s$ in Periode $t$

Die Zielfunktion des Modells bildet den Zielkonflikt zwischen den Lagerkosten und den Kosten für Zusatzkapazität (flexible Produktionskapazität bzw. Überstunden) ab. Die erste Nebenbedingung schreibt den Lagerbestand fort. Die beiden folgenden Nebenbedingungen sichern die Einhaltung der technischen und der personellen Kapazität. Die personelle Kapazität kann durch Zusatzkapazität (Überstunden) in begrenztem Umfang erweitert werden.

Das obige LP-Modell kann mit einem Standard-Solver für alle in der Praxis denkbaren Problemgrößen routinemäßig gelöst werden.

Beispiel: 3 Produkte, 6 Perioden

Kostendaten:

Produkt 1
Lagerkostensatz
8.00
Produktionskostensatz
0.00
Personalbedarf pro ME
0.50
Kapazitätsbedarf pro ME
1.00
Lager-Anfangsbestand
20.00
Produkt 2
Lagerkostensatz
4.50
Produktionskostensatz
0.00
Personalbedarf pro ME
1.00
Kapazitätsbedarf pro ME
0.50
Lager-Anfangsbestand
0.00
Produkt 3
Lagerkostensatz
6.00
Produktionskostensatz
0.00
Personalbedarf pro ME
0.80
Kapazitätsbedarf pro ME
0.80
Lager-Anfangsbestand
0.00
Sonstiges
Überstundenlohnsatz
10.00

Kapazitäten und Nachfragedaten:

Periode
Cmax
Nmax
Umax
Nachfrage 1
Nachfrage 2
Nachfrage 3
1
300.0
250.0
100.0
130.0
80.0
60.0
2
300.0
250.0
100.0
100.0
120.0
45.0
3
300.0
250.0
100.0
50.0
210.0
80.0
4
300.0
250.0
100.0
160.0
150.0
90.0
5
300.0
250.0
100.0
150.0
90.0
70.0
6
300.0
250.0
100.0
90.0
110.0
50.0

Optimale Lösung:

Periode
Prod.-Menge 1
Prod.-Menge 2
Prod.-Menge 3
Bestand 1
Bestand 2
Bestand 3
0
20
-
-
1
110
92
60
-
12
-
2
100
164
45
-
56
-
3
50
154
88.75
-
-
8.75
4
160
150
81.25
-
-
-
5
150
90
70
-
-
-
6
90
110
50
-
-
-
Periode
Technische Belastung
Personelle Belastung
Überstunden
1
204
195
-
2
218
250
-
3
198
250
-
4
300
250
45
5
251
221
-
6
185
195
-

Berücksichtigung eines maximalen Lagerbestands:

  • Zusätzlich zu den obigen Annahmen soll der Lagerbestand am Standort $s$ in jeder Periode die Gesamtmenge $L_{t,max}$ nicht übersteigen.

Diese Restriktion kann sehr einfach wie folgt erfaßt werden:

$\displaystyle{\sum_{k=1}^K L_{skt} \leq L_{st,max}}$

Nimmt man im obigen Beispiel einen maximalen Gesamtbestand von $L_{st,max}=50$ ME an, dann ergibt sich folgende optimale Lösung:

Periode
Prod.-Menge 1
Prod.-Menge 2
Prod.-Menge 3
Bestand 1
Bestand 2
Bestand 3
0
20
-
-
1
110
86
60
-
6
-
2
100
164
45
-
50
-
3
50
160
88.75
-
-
8.75
4
160
150
81.25
-
-
-
5
150
90
70
-
-
-
6
90
110
50
-
-
-
Periode
Technische Belastung
Personelle Belastung
Überstunden
1
201
189
-
2
218
250
-
3
201
250
6
4
300
250
45
5
251
221
-
6
185
195
-

Man erkennt, daß die beschränkte Möglichkeit der Vorratsproduktion nun durch Überstunden ausgeglichen werden muß.

Berücksichtigung eines Mindest-Lagerbestands:

Es ist auch möglich, produktspezifische Mindest-Lagerbestände $L_{k,min}$ vorzusehen. In diesem Fall muß man dem LP-Modell für jedes betroffene Produkt lediglich die Restriktion $L_{skt} \geq L_{k,min}$ hinzufügen.

Siehe auch ...

Literatur

Günther, H.-O. und Tempelmeier, H. (2020). Supply Chain Analytics - Operations Management und Logistik. 13. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.
Tempelmeier, H. (2020), Produuction Analytics. 6. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.
Tempelmeier, H. (2020). Analytics in Supply Chain Management und Produktion - Übungen und Mini-Fallstudien. 7. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.