MRP -(K)ein Planungssystem?

Das MRP-Konzept (Material Requirements Planning) existiert seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es bildet die Grundlage der meisten in der betrieblichen Praxis eingesetzten EDV-Systeme zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS-Systeme). Diese Systeme bieten eine gute Unterstützung der Auftragsabwicklung, leisten aber keine Hilfe bei der Planung.

Die PPS-Systeme folgen einem phasenbezogenen Sukzessivplanungskonzept.

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Dieses Konzept besteht aus folgenden Phasen:

Hauptproduktionsprogrammplanung (Primärbedarfsplanung). Auf der Basis vorliegender Kundenaufträge sowie eines evtl. vorgegebenen mittelfristigen aggregierten Produktionsprogramms werden unter Berücksichtigung vorhandener Lagerbestände die Primärbedarfsmengen f ür absatzbestimmte Erzeugnisse (Endprodukte und Ersatzteile) ermittelt. Das Ergebnis ist ein Hauptproduktionsprogramm (master production schedule).

Mengenplanung. Ausgehend von dem zuvor fixierten Hauptproduktionsprogramm werden die Sekundärbedarfsmengen f ür die untergeordneten Erzeugnisse mit Hilfe von Verfahren der programmorientierten Materialbedarfsplanung ermittelt. Dabei wird auf Informationen über die Erzeugnisstruktur, Lagerbestände sowie geplante Durchlaufzeiten zurückgegriffen. Für manche Produkte kommen auch Prognoseverfahren zum Einsatz. Die Materialbedarfsrechnungen werden begleitet durch einfachste Losgrößenheuristiken. Dabei wird von unbeschränkten Kapazitäten der Ressourcen ausgegangen. Ergebnis dieser Planungsstufe sind grobterminierte Produktionsaufträge für alle Erzeugnisse.

Terminplanung. Im nächsten Schritt werden zunächst für jeden Arbeitsgang, der zur Herstellung der Erzeugnisse durchzuführen ist, Start- und Endtermine errechnet. Dabei werden erneut unbeschränkte Kapazitäten der Ressourcen angenommen. Im Anschluß an diese sog. Durchlaufterminierung wird für jede Ressource die resultierende Kapazitätsbelastung ermittelt und der Kapazitätsbedarf dem Kapazitätsangebot gegenübergestellt. Im Rahmen eines Kapazitätsbelastungsausgleichs wird versucht, Überlastungen ggf. durch Terminverschiebungen nichtkritischer Aufträge sowie durch Einplanung von Überstunden zu beseitigen. Dies geschieht meist manuell, wobei die Auswirkungen der Verschiebung eines auftragsbezogenen Arbeitsgangs auf andere Arbeitsgänge desselben Auftrags und auf andere Aufträge wegen der Komplexität des Problems nur unzureichend berücksichtigt werden können.

Produktionssteuerung. Hier werden die im unmittelbar bevorstehenden Freigabezeitraum spätestens zu beginnenden Aufträge freigegeben und den Ressourcen zugeordnet. Für jede Ressource folgt eine Auftrags-Reihenfolgeplanung, bei der i. d. R. auf Prioritätsregeln zurückgegriffen wird.

Im wesentlichen stellt das beschriebene PPS-Konzept die Automatisierung von Bearbeitungsabläufen dar, die früher manuell durchgeführt wurden. Entscheidungsunterstützende Planungsmethoden kommen kaum zum Einsatz. Das in den PPS-Systemen vorherrschende Konzept der deterministischen Vorwärtsplanung kann man als Push-Konzept bezeichnen, da die Produktionsaufträge in den Produktionsprozeß hineingedrückt werden. Das skizzierte Konzept ist von zahlreichen Autoren kritisiert worden. Die genannten Mängel sind systemimmanenter Art und lassen sich auch nicht durch modernste EDV-technische Implementierungen (Datenbanken; graphische Benutzeroberflächen, usw.) beseitigen. Im Kern lassen sich folgende Kritikpunkte anführen:

1. Die mittelfristige aggregierte Produktionsprogrammplanung, die insbes. die Interdependenzen zwischen Produktions- und Absatzplanung erfassen könnte, wird nicht unterstützt. In der Primärbedarfsplanung wird i.d.R. der Produktionsplan mit dem Absatzplan gleichgesetzt. Er müßte jedoch bei knappen Kapazitäten von diesem abweichen.
2. Die Produktionsauftragsgrößen werden isoliert für jedes End- oder Vorprodukt ohne Beachtung der gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmt. Sowohl die Konkurrenz der Erzeugnisse um begrenzte Ressourcen als auch die sich aus der Mehrstufigkeit der Erzeugnisstruktur ergebenden kostenmäßigen Interdependenzen werden nicht beachtet. Dies kann systematisch auch so interpretiert werden, daß innerhalb der phasenbezogenen Sukzessivplanung in die Phase der Mengenplanung eine erzeugnisbezogene Sukzessivplanung eingebettet ist. Der obere rechte Teil des obigen Bildes verdeutlicht diese Vorgehensweise.
3. In der Materialbedarfsplanung und in der Terminplanung werden zur Terminierung der Produktionsaufträge ”Plan-Durchlaufzeiten” verwendet. Diese enthalten von der aktuellen Belastung der Ressourcen unabhängige, i.d.R. in den Erzeugnisstammdaten abgespeicherte Schätzwerte für die Wartezeiten, die ein Produktionsauftrag nach seiner Freigabe insgesamt auf die Bearbeitung und auf Transporte warten muß. Der Anteil der organisatorisch bedingten Wartezeiten an der Gesamtdurchlaufzeit eines Auftrags beträgt nicht selten über 85%. Die Wartezeiten werden in der Praxis aus Sicherheitsgründen erheblich überschätzt, was eine verfrühte Auftragsfreigabe, entsprechend erhöhte Zwischenlagerbestände und durch die überhöhte Anzahl von Planungsobjekten in der Terminplanung eine Erhöhung der Komplexität der kombinatorischen Terminplanungsprobleme zur Folge hat. Die auf der Grundlage gegebener Plan-Durchlaufzeiten ermittelten Freigabezeitpunkte der Aufträge, die prinzipiell das Ergebnis der Planung sein müssen, werden als Daten der Planung extern vorgegeben.
4. Das alle Planungsphasen überlagernde, dominierende Problem des herkömmlichen erzeugnisorientierten PPS-Konzepts besteht darin, daß in keiner Planungsphase die begrenzte Verfügbarkeit der Ressourcen systematisch erfaßt wird. Die Planungsergebnisse sind folglich eine Aneinanderreihung heuristischer Improvisationen, deren in Theorie und Praxis beklagte geringe Qualität nicht verwundern kann.

Daher muß man feststellen:

Das MRP-Konzept ist kein Planungssystem, sondern ein Datenverwaltungssystem .

Die AP-Systeme versuchen nun, das MRP-Konzept zu ergänzen und seine Schwächen durch modellgestützte Planung zu beseitigen.